Text / Stelen - Stelen als Wegweiser

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Text / Stelen

 

Beschreibung / Stelen v. Lennart Erschler                                                                                                          2010 / 2011   

Die Idee und der Ursprung des Stelenkunstprojektes

Die Idee des Stelenkunstprojektes entstand während einer Reise durch die italienischen Ostdolomiten, genauer gesagt in Forni di Sopra.

Hier, inmitten der großartigen Kulisse der fast dreitausend Meter hohen Dolomiten, befindet sich das kleine italienische Bergidyll, umgeben von bizarr anmutenden Felstürmen, deren Spitzen den Himmel zu berühren scheinen.

In diese grandiose Bergwelt waren meine Freundin und ich gefahren, um in die unberührte Natur einzutauchen, ihr ganz nahe zu sein und sie zu spüren, diese natürliche, kosmische Kraft, die in dieser Gegend ruht.

Wir begannen unsere Wanderung am Ende des Ortes, an einem kleinen Fluss, den wir überquerten und seinem Verlauf folgten, bis wir nach ca. 2 km ein abgelegenes Tal erreicht hatten. Gemäß der alpinen Naturgesetze waren wir umgeben von einer beeindruckenden Naturlandschaft bestehend aus wilden Gesteinsarten, Schotter und einer markanten Pflanzenwelt. Wege tauchten zufällig auf und endeten plötzlich, so wie sie zufällig vor uns erschienen waren. Hier und da tauchten ebenso unvermutet kegelförmige, aufgestapelte Steinhaufen auf, die aus der Ferne kaum erkennbar waren. Die Wahrnehmung in der Bergwelt folgt ihren eigenen Gesetzen; es bedarf der Übung, sich nicht täuschen zu lassen. So gingen wir zeitweise im Kreis, mal rückwärts anstatt vorwärts, da die vorhandenen Wegweiser oder Wegmarkierungen entweder fehlten oder nicht eindeutig zu lesen waren – nicht viel anders wie auch im Leben.

Um nicht weiter vom Weg abzukommen, bauten wir an markanten Schlüsselstellen Wegmarkierungen aus den Materialien, die wir vorfanden: Steine, Äste, Sträucher etc.

Das war der Ursprung unseres Projektes: die Idee, Wegweiser aus den natürlichen Materialien zu schaffen, die mit künstlerischen Mitteln eine Funktion ergeben. War das ein Zufall? Im hebräischen und im tibetanischen Sprachgebrauch gibt es das Wort „Zufall“ nicht. Wo Gott ist, ist kein Platz für den Zufall, so sagt man. Alles ist geordnet, von oben geregelt, alles, was geschieht, geschieht, weil es einen Sinn hat.

Wir haben uns diese Weltanschauung zu eigen gemacht, den Gedanken, dass es ein Schicksal gibt.

Als junger Künstler sah ich meine Werke als Erzeugnis meines eigenen Willens. Ich fühlte mich wie ein Arbeiter, der Stein um Stein die Straße vor sich baut, die er zu gehen hat. Später merkte ich, dass die Straße schon da ist, dass sie schon vorgezeichnet ist und mir nichts bleibt, als sie weiter zu gehen. Das ist meine Entdeckung. Ich ahnte, dass die Dinge nicht nur von mir selbst abhängen.

Der Weg, den wir durch die Dolomiten gingen, war nicht gerade, sondern voller Scheidewege. Bei jedem Schritt gab es einen Wegweiser, der in eine andere Richtung deutete. Von einer Stelle ging ein Pfad ab, von einer anderen ein grasbewachsener Feldweg, der sich im Gebirge verlor.

Manche dieser Abzweigungen haben wir genommen, ohne sie überhaupt zu bemerken. Andere haben wir gar nicht gesehen, beziehungsweise bemerkt. Wir wussten nicht, wohin der Weg, den wir links liegengelassen hatten, uns geführt hätte, ob er uns zu einem schöneren oder schlechteren Ort geführt hätte. Wir wussten es nicht und folgten unserer Eingebung. Wir hätten abbiegen können und taten es doch nicht.

Jede Gabelung des Weges, der wir folgten, öffnete uns eine neue Dimension – so wie uns manch andere verschlossen blieben. Welchen Weg wir gingen, hing allein von unserer Wahl ab, die wir in einer Sekunde getroffen hatten – ob wir nun weitergingen oder abbogen  - die Wahl des Moments bestimmte unsere Reise.

Aus dieser Erfahrung heraus entstand nach unserer Reise die erste Stele. Die Form war vorgegeben – 210 cm hoch und 40 cm breit-; das Innere, die Farben und Formen wechseln ständig.

Was bis heute unverändert ist, ist die Idee und Motivation: Stelen als Kunstobjekte wegweisend im öffentlichen Raum oder in der Natur aufzustellen – eine Symbiose zwischen Natur und Kunst zu schaffen.  

Sie ist es, die mich bis heute führt und mich immer wieder dazu antreibt , eine neue Stele zu beginnen, diese hochschmalen Leinwände 210 cm hoch und 40 cm breit, künstlerisch zu gestalten, die dann als Wegweiser dienen könnten.

Aufgrund ihrer Höhe von 210 cm  sind sie von weitem sichtbar und eignen sich deshalb als Wegweiser besonders gut.

Sie entsprechen im formalen Aufbau der Anbetung geweihter Säulen oder Pfählen in vielen alten Kulturen: Der monochrome Bildgrund, im Fall dieser Arbeiten in materialhaft aufgebrachten Erdfarben wird auf Augenhöhe des Menschen aufgebrochen durch eine Art Fenster in einen jenseitigen, wohl vor allem spirituellen Bereich.

Es mag eigenartig klingen, aber wenn man vor den Stelen steht, tauchen Erinnerungen an geographische, geologische oder auch kulturelle Situationen auf, wie z.B. die einer Passhöhe, eines Flusses oder eines Holzsammelplatzes oder die eines Klosters, die von mir, dem Künstler, als gestaltende Motive aufgegriffen und in die Form eingearbeitet wurden – Materialfragmente aus der unmittelbaren Umgebung, die sich in den Stelen wieder finden.


 
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